7 - Herbstgedicht


Herbst

Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten;

sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde Aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.

Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen Unendlich sanft in seinen Händen hält.

 

Rainer Maria Rilke ist ein wahrer Musizierender der deutschen Sprache. Ihm gelingt es den eher hart klingenden Worten eine so tiefe Sanftmut zu verleihen, als seien sie gar nicht von dieser Welt. Dieses Herbstgedicht liebe ich besonders. Wie gut kennen wir diese Gefühle des Dunklen, wenn der Herbst kommt. Es ist als müssten wir selbst die Blätter sein, vertrocknet und vom Baume fallend. Der Sturm weht uns haltlos von hier nach dort, der Regen trifft uns ungeschützt, auf dem Boden liegend, tot, von niemandem mehr beachtet. Jeder Abschied ist ein kleiner Tod und so besonders auch der Abschied von den Blättern, der Abschied vom Sommer, der Abschied vom prallen Leben. Hinein geht es in die Abgeschiedenheit der Häuser, Türe zu geschlossen, begegnen wir unserem Inneren. Das fällt manch einem nicht leicht: sich mit sich selbst zu konfrontieren. Viele sorgfältig versteckte und gut verpackte Dinge können zum Vorschein kommen, die man lieber nicht gesehen hätte. Das Gefühl des Fallens in die Dunkelheit, die innere Einsamkeit zu schauen. Was für ein Glück haben da alle diejenigen unter den Menschen, die wissen, das es ein Licht gibt, das die Dunkelheit erhellt und in dem sie genau Denjenigen erkennen können, der »unendlich sanft« sie »in seinen Händen hält« So getragen lassen Sie uns mut- und freudvoll durch den Winter gehen.

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